“Vom Winde verweht“

oder: „Meine persönlichen Erfahrungen mit Depressionen“

Wie fängt man solch einen Artikel eigentlich an?
Weil das quasi unmöglich scheint, beantworte ich diese Frage als zentrale Komponente des Texts nun
direkt. Ich weiß es nicht.
Worte können nicht beschreiben, wie oft ich schon an meinem Schreibtisch saß und versucht habe,
diesen verdammten Artikel zu schreiben. Spätestens wenn sich das Tippen mit der Tastatur wie Pickel
ausdrücken anfühlt, weiß man, dass man den Abend lieber mit schlechten Serien auf dem Sofa
verbringen sollte.
Wie dem auch sei. Weshalb kredenze ich meine geistigen Ergüsse über dieses Thema eigentlich? Ich
möchte einen Erfahrungsbericht liefern, wie man ihn vielleicht kennt, wenn man sich online über ein
neues Handymodell informiert. Vorab: 0/0 Sterne, nie wieder. Allerdings kann man sich Depressionen
– leider – nicht aussuchen, da hat man auf dem Handymarkt allgemein bessere Chancen.


Nun gut, Selbstauskunft:
Seit Ende 2021 kämpfe ich mit Depressionen. Das ist harter Tobak – insbesondere, weil man das nicht
weiß. Ich selber habe es zum Beispiel erst im Mai erfahren… diesen Jahres… Das eigene Gehirn greift
nämlich so tief in die Trickkiste, dass man Depressionen meistens nicht einmal richtig lokalisieren
kann, ohne professionelle Hilfe in Anspruch genommen zu haben. Ich sehe schon aufbrausende,
wütende Internet-Rambos, welche sich in der Kommentarspalte zu diesem Beitrag nur allzu gerne
darüber auskotzen würden, dass ich mich doch nicht einfach so anstellen soll, etc. Vergleichen wir
mein Gehirn einfach mal mit einem Büro. Stell dir vor, du hast dein extrem unordentliches Büro das
erste Mal seit einem halben Jahr richtig aufgeräumt. Also, so richtig aufgeräumt. Mit Putzen und so.
Jetzt kommt einer, stellt eine Windmaschine auf und aktiviert diese auf höchster Stufe. Jetzt fliegt
alles durch die Gegend, unaufhaltsam, du kannst die Windmaschine selber nicht ausschalten. Das
geht immer so weiter. Du kannst nichts dagegen tun. Dein ganzes Büro wird ruiniert, aber du selber
kannst es nicht ändern. Diese verdammte Windmaschine eskaliert auf höchster Stufe.
Dann gibt es allerdings Tage, an denen die Windmaschine einfach… aufhört? Du fängst langsam
wieder an, dein Büro aufzuräumen. Altlasten rauszuschmeißen. Den Müll einfach mal so richtig
rausbringen. Das sind die Tage, an denen ihr mich erlebt. Depressive Phasen heißen nicht
automatisch, dass man mit einer langgezogenen Fresse durch die Gegend marschiert und den
Miesepeter darstellt. Nein, ich KANN immer noch funktionieren. Ich weiß halt nicht, wann.


Zurück zur Windmaschine. Wie gesagt, das Büro ist wieder aufgeräumter und man kann wieder seiner
Arbeit nachgehen. Upps, da geht’s wieder los. Ohne Grund. Ohne verdammten Grund liegst du dann
wieder den ganzen Tag wie eingefroren in deinem Bett. Regungslos. Matt. Ohne jeglichen Ansporn.
Mit einer leeren Batterie. Es treibt dich in den Wahnsinn, weil doch eigentlich überhaupt kein Grund
dazu besteht. Und die Windmaschine läuft und läuft und läuft und läuft und läuft…


Radikal – oder?
Aber das Leben geht gleichzeitig auch weiter. Keiner nimmt so wirklich darauf Rücksicht, dass gerade
einer in deinem Kopf rumradelt.
Im Gegenteil. Es ist aus irgendeinem Grund einfacher Leute zu finden, die ihren Döner mit extra
Zwiebeln essen, als Leute, die richtig mit psychischen Krankheiten umgehen können. Und, peng, die
Windmaschine hat sich gerade noch eine Stufe höher gestellt. Herzlichen Glückwunsch. Du hast den
Status der völligen Misere erreicht.
Das Highlight an der ganzen Sache ist allerdings der Sicherungskasten. Zurück zur Analogie mit der
Windmaschine. Das Teil eskaliert und randaliert wieder. Du rennst zum Sicherungskasten – also hier
Freunde und Familie – und legst die Sicherung der Windmaschine um…
Das habt ihr doch jetzt nicht wirklich geglaubt, oder? Die Stigmatisierung psychischer Krankheiten in
der Gesellschaft haben schon vor dem Aufbau der Windmaschine in deinem Kopf dafür gesorgt, dass
der Sicherungskasten hermetisch abgeriegelt wird. Das ist besser gesichert als irgendwelche
Regierungsgeheimnisse.

Das mag jetzt alles relativ abstrakt klingen, allerdings sind Depressionen für nicht betroffene Menschen auch wirklich und tatsächlich nicht nachzufühlen.

One thought on ““Vom Winde verweht“

  1. ,
    Ein toller Artikel! Ich glaube, du hast einen sehr guten Vergleich geschaffen mit der Windmaschine. Außerdem finde ich es sehr mutig, so offen darüber zu sprechen. Unsere Gesellschaft braucht Menschen, die offen mit psychischen Erkrankungen umgehen und aufklären.
    Mein Wunsch an Dich ist, dass die Windmaschine ganz bald ihren Geist aufgibt.
    Alles Liebe!

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